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Ungeschminkt

Ob es an Corona liegt oder am Leben auf dem Land oder vielleicht auch daran, dass man mit Kindern weniger ausgeht, ich weiss es nicht. Fakt ist, ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich mich zum letzten Mal geschminkt habe.

 

Diese Woche war ich mit meinem älteren Sohn beim Einkaufen, als er mich plötzlich fragte: «Mami, was ist das?» Mit dem Finger zeigte er auf eine Schachtel ganz unten im Regal mit den reduzierten Artikeln. In der Schachtel lagen allerlei bunte Sachen, welche ich schnell als verschiedene Kosmetikartikel identifizierte. «Schminkzeug» sagte ich ihm und war in dem Moment nicht sicher, ob er sich wohl daran erinnern kann wozu man das braucht.

 

Während der Ausbildung schminkte ich mich jeden Tag. Danach schminkte ich mich an jedem Arbeitstag. Als ich Kinder bekam wurden auch diese Gelegenheiten rarer. Die Jungs wussten immer, wenn Mami sich schminkte, dann ging sie aus.

 

Das war auch in meiner Kindheit so. Meine Mutter hatte ein Parfüm, dass nach Wassermelone roch. Immer, wenn dieser Duft in der Luft war, dann ging Mami aus. Lustigerweise schwebte ein sehr ähnlicher Duft auch im Parkhaus von besagtem Geschäft, in welchem ich mit meinem Sohn einkaufen ging. Ich, ungeschminkt und unparfümiert, draussen unter Leuten.

 

Irgendwo habe ich einmal ein Interview mit der Leiterin einer «Benimmschule für höhere Töchter» gelesen, in welchem die Dame sagte, dass man sich als Frau jeden Morgen schminken solle. Das sei man sich und seiner Umwelt schuldig. Nicht einmal ihr Ehemann sei sich ihren Anblick ohne Schminke gewohnt. Solche Ansichten habe ich noch nie verstanden. Ich werde nie irgendwo eine schockierende Gegenüberstellung zweier Bilder von mir posten müssen, auf welchen man mich mit und ohne Schminke sieht. Gut, vielleicht liegt das daran, dass ich nie gelernt habe mich richtig zu schminken. Mein Rouge hiess schon immer Landluft.

 

Ein bisschen vermisse ich das Herausputzen aber schon. Vielleicht sollte ich mal wieder einen Anlauf nehmen. Mich etwas zurechtmachen. Schmuck anziehen. Mich schön kleiden. Schuhe mit Absatz tragen. Wenigstens bis in Lehrerzimmer, wo wir dann alle die schönen Schuhe parkieren und auf Hausschuhe umstellen. Vielleicht brauche ich neue Finken. Meine rosa Schlappen machen ja jeden Look kaputt.

 

Die Lehrerin für «Familie und Gesellschaft» am Strickhof hätte meine Schlappen nie durchgehen lassen. Sie legte damals grossen Wert auf ein adrettes Auftreten und verlangte, dass wir zur Prüfung mit sauberen, ordentlichen, geschlossenen Schuhen antreten, auch, wenn wir im Internat waren und das Gebäude den ganzen Tag nicht verliessen. Schliesslich wollte sie uns vermitteln, dass es wichtig ist der Welt da draussen zu zeigen, dass wir nicht ungehobelte Bauerntrampel seien, sondern gepflegte junge Frauen.

 

Ich glaube ich werde mal wieder einen Anlauf nehmen mit der Schminkerei. Es geht ja nur um die Augen. Ich hoffe einfach, dass es besser ankommt als damals, als ein Schüler mich beim Begrüssen mit grossen Augen ansah und sagte: «Heit dir nech Schminki ids Gsicht gkaret?!»