Es ist Mittsommer und etwas fehlt. IFYE fehlt.
Im Jahr 2006 war ich mit dem Landjugendaustausch IFYE (International Farm Youth Exchange) in Finnland. Mitte Juni reisten wir zu dritt nach Helsinki und von dort in unsere Gastfamilien. Rechtzeitig zu Juhannus waren wir in den Familien. Ich durfte dieses besondere Fest als Teilnehmerin eines Jugendlagers erleben. Es wurde gesungen, wir blieben lange auf, konnten die ganze Nacht ohne Taschenlampe unterwegs sein und natürlich hatte es ein grosses Lagerfeuer am Ufer des Sees.
Am nächsten Morgen musste ich dann früh zur Toilette und erlebte dabei ein kleines Abenteuer. Am Vortag hatte ich nur die Toilette im Hauptgebäude der Campanlage benutzt und konnte einfach den anderen Mädels folgen. An diesem Morgen waren die anderen noch tief im Traumland. Zum Glück hatte es Wegweiser und ich fand die Sanitäranlagen zielsicher. Nur, Auf den Türen waren ein «N» und ein «M». Welche der Türen war für Frauen? Auf gut Glück versuchte ich es bei N und lag, wie ich sofort bemerke, richtig. Als ich den Raum betrat stand da nämlich eine nackte Frau vor dem Spiegel. Ich grüsste schüchtern und zog mich schnell in eine der Kabinen zurück. Als ich aus der Kabine kam war sie nicht mehr vor dem Spiegel, sondern ebenfalls auf der Emailleschüssel, nur, dass sie die Tür nicht schloss. Während ich die Hände wusch wanderte sie zu den Duschen und auch da kam es ihr nicht in den Sinn den Vorhang zu ziehen. Sehr irritiert berichtete ich meiner Gastschwester von meiner Begegnung. Sie lachte, zuckte mit den Schultern und meinte. «Du bist jetzt in Finnland. Hier gibt es solche Leute. Das ist normal. Es sind nicht alle ganz so extrem aber nackt zu sein, gehört bei uns dazu.»
Jetzt war ich also in Finnland und ich erlebte während der drei Monate dort noch manches Abenteuer. Ich durfte ein Land und einige seiner Bewohner kennen lernen. Als ich zurück kam war für mich klar, dass ich die Gastfreundschaft, welche ich erfahren durfte, zurückgeben möchte. Ich überzeugte meine Eltern davon auch mal wieder ein IFYE bei uns aufzunehmen. Später dann, wurde ich selbst Gastgeberin. Seit 2012 hatten wir jeden Sommer ein IFYE. Das fehlt heuer. Eine Nebenwirkung von Corona.
Jetzt, wäre die Zeit, die ich seit 14 Jahren mit IFYE teile. Als Gastfamilie nehmen wir eine junge Person aus irgendeinem Teil der Welt bei uns in der Familie auf. In der Regel verbringen sie drei Wochen bei uns. Es ist nicht immer leicht, denn genau solche Kulturschocks, wie ich sie erlebt habe, erleben diese Gäste bei uns ja auch. Und auch wir müssen uns manchmal an Eigenheiten gewöhnen. Man muss Regeln bekannt geben und mit Missverständnissen leben können. Es ist aber eine fantastisch bereichernde Zeit, in der man ein neues Land, eine Kultur und vor allem eine Person kennenlernt, ins Herz schliesst und Teil der Familie werden lässt.
Wenn unser fünf jähriger sagt, dass er mal wieder jemanden aus England zum spielen möchte, dann meint er eher jemanden, der Englisch spricht. Das sind unsere IFYEs. Wir denken viel an sie. Gerade jetzt sprechen wir fast täglich von unserem letztjährigen Gast aus Norwegen. Wir pflücken Erdbeeren und stampfen sie, wie Annemarit, zu norwegischer Marmelade. Wer weiss, vielleicht machen wir diese Woche einmal Haferbrei mit Würstchen. Und wenn es dann ans Emden geht, werden wir sie noch mehr vermissen.